Anlässlich des Todes von Clayton M. Christensen ist in den letzten Wochen wieder viel über Innovation und Disruption geschrieben worden. Im Mittelpunkt steht dabei The Innovator‘s Dilemma, der Klassiker von Christensen aus dem Jahr 1997. Was lässt sich heute noch daraus lernen?
Disruptionen – vom Großrechner zum Smartphone
Every once in a while a revolutionary product comes along that changes everything.
Die Worte von Steve Jobs zur Einführung des ersten iPhone im Jahr 2007 beschreiben das, war üblicherweise unter Disruption verstanden wird: eine radikale Neuerung, die alles verändert. Wir erinnern uns: Vor dem Smartphone in unseren Taschen war lange Zeit der PC (Personal Computer) auf unseren Schreibtischen dominant. Und lange vor dem PC gab es die so genannten Mainframes und Minicomputer – Großrechner in eigens dafür errichteten Räumen und Schränken. Die Bilder von damals wirken heute auf uns wie Zeugnisse aus der Steinzeit – genauso wie Kodaks Negativ-Filme oder Nokias Mobiltelefone.
Wie aber kann es passieren, dass große, erfolgreiche Firmen mit hohem Entwicklungsbudget und schlauen Mitarbeitern es versäumen, ihre Produkte zukunftsfest zu machen? Liegt es an der Trägheit oder Selbstzufriedenheit, liegt es an mangelnder Innovationskraft?
Selbst die fleißigsten Innovatoren werden verdrängt
In The Innovator‘s Dilemma untersucht Christensen das Schicksal von Firmen wie IBM, Seagate und Quantum, die sich in den 1970er und 1980er Jahren auf die Herstellung von 14-Zoll und 8-Zoll-Festplatten zur Anwendung in Großrechnern spezialisiert hatten.
Folgen wir Christensen, dann zeigten diese Firmen bis in die 80er Jahre hinein nicht die geringsten Ermündungserscheinungen. Ganz im Gegenteil blieben sie hoch innovativ und kundenzentriert: Die Einführung neuer Technologien, z.B. bei der Beschichtung des Schreib-Lese-Kopfes, entsprachen genau dem Bedürfnis ihrer Kunden nach mehr Speicherplatz und zuverlässigem Betrieb.
Wie konnte es trotz dieser ungebrochenen Innovationskraft und Kundenzentriertheit passieren, dass Newcomer wie Shugart Associates oder Quantum mit ihren 5,25-Zoll-Festplatten den Markt nach und nach von hinten aufrollten?
Hatten sie etwa die besseren, innovativeren, revolutionären Produkte? Wohl kaum. Bei allen damals relevanten Kategorien – Speicherplatz, Kosten pro Megabyte, Zugriffszeiten – waren die kleinen Festplatten gegenüber den großen deutlich im Hintertreffen. Auch verbauten die Hersteller der kleinen Festplatten eher Billigware und Standardkomponenten, während die etablierten Innovatoren auf High-Tech setzten.
Das Wertesystem entscheidet!
Entscheidend war also keinesfalls die Innovationskraft dieser Newcomer, sondern vielmehr die Tatasche, dass sie ein anderes Wertesystem bedienten. Die Kunden, die kleine Festplatten bevorzugten, waren nicht die Betreiber von Großrechnern in dedizierten Räumen, sondern die Anwender von PCs, die auf einem Schreibtisch Platz haben sollten. Und für diese Anwender war z.B. die kompakte Form oder der Energieverbrauch der Festplatte viel wichtiger als deren Kapazität.

Hier offenbart sich nun das Dilemma des Innovators: Die Bedeutungslosigkeit droht dem Innovator nicht obwohl, sondern weil er seine gesamten Fähigkeiten darauf trainiert hat, den bestehenden Markt und die bestehenden Kunden optimal zu bedienen.
Gelingt es einem Newcomer, mit einem zunächst schlechteren Produkt eine zukunftsträchtigeres Wertesystem zu verstehen und zu bedienen (in diesem Fall das Wertesystem des PC-Benutzers), dann droht dem Innovator früher oder später die Irrelevanz.
Neuerfindungsbedarf für Weltmeister
Folgerichtig geht Christensen auch davon aus, dass der Innovator diesem Dilemma nur entkommen kann, indem er sich selber neu erfindet. Ich stelle mir das umso schwerer vor, je erfolgreicher die Unternehmung bereits ist. Man stelle sich eine Top-Tennisspielerin vor, die sich plötzlich auf einem Spielfeld mit anderen Dimensionen, einem anderen Schläger, anderen Ball und anderen Regeln beweisen muss.
Die üblichen Methoden zur Steuerung von Unternehmen wie MBO (Management By Objectives) sind laut Christensen in einem solchen Umfeld ungenügend, weil sie von der Annahme ausgehen (müssen), dass die Ziele grundsätzlich korrekt sind. Werden die Ziele verfehlt, wird noch mehr in die Erreichung dieser investiert – anstatt zu hinterfragen, ob die Grundannahmen überhaupt noch richtig sind. So glaubte Nokia, lange Zeit Weltmeister unter den Mobiltelefonherstellern, dass die Zukunft in der Herstellung immer besserer Telefone bestehen würde. Dabei übersah Nokia, dass Mobiltelefone in ihrer kompakten Form das perfekte Gehäuse für den PC-Nachfolger mit miniaturisierter Elektronik und Touchscreen bieten.
Und wieder das iPhone
Eine aufschlussreiche Anekdote zum Schluss: Clayton M. Christensen glaubte selber nicht an den langfristigen Erfolg des iPhones. In einem Interview in 2012 behauptete er, dass die Android-basierten Smartphones das iPhone verdrängen würden, weil Benutzer die offene, modulare Architektur von Android mehr schätzen als das geschlossene Ökosystem von Apple.
Christensen lag offenbar falsch – das iPhone ist auch im Jahr 2020 alles andere als verdrängt. Doch auch dies lässt sich vielleicht mit Christensens Ansatz erklären: Das iPhone ist ja nicht unbedingt das bessere Produkt. Es gibt andere, innovative Hersteller wie etwa Samsung, die bessere Auflösung, längere Batterielaufzeit, größeren Zoom, besseren Nachtmodus, mehr Anpassungsmöglichkeiten oder 5G-Unterstützung bieten.
Doch bedient Apple am Ende des Tages ein anderes Wertesystem – eines, das auf einer User Experience „aus einem Guss“ setzt, in der Hardware und Software der verschiedenen Apple-Produkte in einem Ökosystem nahtlos ineinander greifen. Und dieses Wertesystem scheint auch 13 Jahre nach Einführung des ersten iPhones noch zukunftsträchtig zu sein.
Literatur:
Clayton M. Christensen: The Innovator‘s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail. Harvard Business Review Press. 1997. Ben Thompson: What Clayton Christensen Got Wrong. Stratechery, 22.09.2013. Haydn Shaughnessy: What Did the Innovator‘s Dilemma Get Wrong? 27.06.2014.
Die Worte von Steve Jobs zur Einführung des ersten iPhone im Jahr 2007 beschreiben das, war üblicherweise unter Disruption verstanden wird: eine radikale Neuerung, die alles verändert. Wir erinnern uns: Vor dem Smartphone in unseren Taschen war lange Zeit der PC (Personal Computer) auf unseren Schreibtischen dominant. Und lange vor dem PC gab es die so genannten Mainframes und Minicomputer – Großrechner in eigens dafür errichteten Räumen und Schränken. Die Bilder von damals wirken heute auf uns wie Zeugnisse aus der Steinzeit – genauso wie Kodaks Negativ-Filme oder Nokias Mobiltelefone. Wie aber kann es passieren, dass große, erfolgreiche Firmen mit hohem Entwicklungsbudget und schlauen Mitarbeitern es versäumen, ihre Produkte zukunftsfest zu machen? Liegt es an der Trägheit oder Selbstzufriedenheit, liegt es an mangelnder Innovationskraft?
Selbst die fleißigsten Innovatoren werden verdrängt In The Innovator‘s Dilemma untersucht Christensen das Schicksal von Firmen wie IBM, Seagate und Quantum, die sich in den 1970er und 1980er Jahren auf die Herstellung von 14-Zoll und 8-Zoll-Festplatten zur Anwendung in Großrechnern spezialisiert hatten. Folgen wir Christensen, dann zeigten diese Firmen bis in die 80er Jahre hinein nicht die geringsten Ermündungserscheinungen. Ganz im Gegenteil blieben sie hoch innovativ und kundenzentriert: Die Einführung neuer Technologien, z.B. bei der Beschichtung des Schreib-Lese-Kopfes, entsprachen genau dem Bedürfnis ihrer Kunden nach mehr Speicherplatz und zuverlässigem Betrieb. Wie konnte es trotz dieser ungebrochenen Innovationskraft und Kundenzentriertheit passieren, dass Newcomer wie Shugart Associates oder Quantum mit ihren 5,25-Zoll-Festplatten den Markt nach und nach von hinten aufrollten? Hatten sie etwa die besseren, innovativeren, revolutionären Produkte? Wohl kaum. Bei allen damals relevanten Kategorien – Speicherplatz, Kosten pro Megabyte, Zugriffszeiten – waren die kleinen Festplatten gegenüber den großen deutlich im Hintertreffen. Auch verbauten die Hersteller der kleinen Festplatten eher Billigware und Standardkomponenten, während die etablierten Innovatoren auf High-Tech setzten.
Das Wertesystem entscheidet! Entscheidend war also keinesfalls die Innovationskraft dieser Newcomer, sondern vielmehr die Tatasche, dass sie ein anderes Wertesystembedienten. Die Kunden, die kleine Festplatten bevorzugten, waren nicht die Betreiber von Großrechnern in dedizierten Räumen, sondern die Anwender von PCs, die auf einem Schreibtisch Platz haben sollten. Und für diese Anwender war z.B. die kompakte Form oder der Energieverbrauch der Festplatte viel wichtiger als deren Kapazität. Hier offenbart sich nun das Dilemma des Innovators: Die Bedeutungslosigkeit droht dem Innovator nicht obwohl, sondern weil er seine gesamten Fähigkeiten darauf trainiert hat, den bestehenden Markt und die bestehenden Kunden optimal zu bedienen. Gelingt es einem Newcomer, mit einem zunächst schlechteren Produkt eine zukunftsträchtigeres Wertesystem zu verstehen und zu bedienen (in diesem Fall das Wertesystem des PC-Benutzers), dann droht dem Innovator früher oder später die Irrelevanz.
Neuerfindungsbedarf für Weltmeister Folgerichtig geht Christensen auch davon aus, dass der Innovator diesem Dilemma nur entkommen kann, indem er sich selber neu erfindet. Ich stelle mir das umso schwerer vor, je erfolgreicher die Unternehmung bereits ist. Man stelle sich eine Top-Tennisspielerin vor, die sich plötzlich auf einem Spielfeld mit anderen Dimensionen, einem anderen Schläger, anderen Ball und anderen Regeln beweisen muss. Die üblichen Methoden zur Steuerung von Unternehmen wie MBO (Management By Objectives) sind laut Christensen in einem solchen Umfeld ungenügend, weil sie von der Annahme ausgehen (müssen), dass die Ziele grundsätzlich korrekt sind. Werden die Ziele verfehlt, wird noch mehr in die Erreichung dieser investiert – anstatt zu hinterfragen, ob die Grundannahmen überhaupt noch richtig sind. So glaubte Nokia, lange Zeit Weltmeister unter den Mobiltelefonherstellern, dass die Zukunft in der Herstellung immer besserer Telefone bestehen würde. Dabei übersah Nokia, dass Mobiltelefone in ihrer kompakten Form das perfekte Gehäuse für den PC-Nachfolger mit miniaturisierter Elektronik und Touchscreen bieten.
Und wieder das iPhone Eine aufschlussreiche Anekdote zum Schluss: Clayton M. Christensen glaubte selber nicht an den langfristigen Erfolg des iPhones. In einem Interview in 2012 behauptete er, dass die Android-basierten Smartphones das iPhone verdrängen würden, weil Benutzer die offene, modulare Architektur von Android mehr schätzen als das geschlossene Ökosystem von Apple. Christensen lag offenbar falsch – das iPhone ist auch im Jahr 2020 alles andere als verdrängt. Doch auch dies lässt sich vielleicht mit Christensens Ansatz erklären: Das iPhone ist ja nicht unbedingt das bessere Produkt. Es gibt andere, innovative Hersteller wie etwa Samsung, die bessere Auflösung, längere Batterielaufzeit, größeren Zoom, besseren Nachtmodus, mehr Anpassungsmöglichkeiten oder 5G-Unterstützung bieten. Doch bedient Apple am Ende des Tages ein anderes Wertesystem – eines, das auf einer User Experience „aus einem Guss“ setzt, in der Hardware und Software der verschiedenen Apple-Produkte in einem Ökosystem nahtlos ineinander greifen. Und dieses Wertesystem scheint auch 13 Jahre nach Einführung des ersten iPhones noch zukunftsträchtig zu sein.
Literatur: Clayton M. Christensen: The Innovator‘s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail. Harvard Business Review Press. 1997. Ben Thompson: What Clayton Christensen Got Wrong. Stratechery, 22.09.2013. Haydn Shaughnessy: What Did the Innovator‘s Dilemma Get Wrong? 27.06.2014.
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