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Zellstrukturdesign und die Rolle der Führungskraft



In einem Vortrag Ende 2022 erklärt uns Stefan Willuda, warum der Hype um Führungskräfte und ihren Leistungen fehlgeleitet ist (Video auf YouTube: hier). Denn für Unternehmenserfolg kommt es weniger auf die Leistung Einzelner an, sondern auf die Interaktion der Menschen - untereinander und zum Markt. An die Stelle einer Hierarchie, in der Mitarbeitende geführt, gesteuert, bewertet und entwickelt werden, tritt eine dezentrale Struktur, in der kleine Teams umfassende Aufträge erhalten. Diese Teams gestalten ihre Interaktionen frei, mit dem Ziel, Wertschöpfung für ihre Organisation direkt oder indirekt zu realisieren.


Eine solche Ausrichtung auf Interaktionen und ihrer Wertschöpfung ist kaum neu. Seit Jahrzehnten stellen Organisationen ihre Geschäfte in Prozesslandschaften dar. Dort stand schon immer die Gestaltung von Interaktionen (Verknüpfung von Tätigkeiten) zum Zweck der Wertschöpfung im Mittelpunkt.


Das Prozessmanagement unterscheidet dabei zwischen Kernprozessen einerseits, und unterstützenden sowie führenden Prozesse andererseits. Die Kernprozesse sind unmittelbar wertschöpfend (zum Beispiel der Innovationsprozess, an dessen Ende Dienstleistungen oder Produkte auf den Markt gebracht werden). Unterstützende und führenden Prozesse helfen den Kernprozessen dabei, die Wertschöpfung zu erbringen (z.B. durch die Entwicklung einer Unternehmensstrategie, dem Setzen von normativen Anforderungen, oder der Bereitstellung einer IT-Infrastruktur).


Zellstrukturdesign und maximale Autonomie


Also alles nur alter Wein in neuen Schläuchen? Spannend wird es mit Stefan Willudas Vorstellung davon, wie Wertschöpfung stattfinden soll: Ihm schwebt das so genannte Zellstrukturdesign vor, das Niels Pfläging und Silke Hermann im gleichnamigen Buch bekannt gemacht haben (Link: hier). Nach diesem Modell lässt sich ein Unternehmen in Zellen von fünf bis acht Personen strukturieren, die unterschiedlich nah oder weit vom Markt (der Organisationsgrenze) interagieren.


Diejenigen Zellen, die unmittelbar mit dem Markt interagieren (Peripheriezellen), sollen maximale Autonomie erhalten. Eine Zelle, die zum Beispiel ein Produkt entwickelt und am Markt verkauft, soll ihre Einnahmen und Investitionen selber verwalten können. Sie muss damit beispielsweise selber schauen, welches Budget sie ihrem nächsten Vorhaben einräumt und welche IT-Tools sie sich dafür kaufen kann. Diejenigen Zellen, die wiederum keine unmittelbare Interaktion mit dem Markt haben (Zentrumszellen), sind Dienstleister der Peripheriezellen und verkaufen ihre Leistungen an diese nach zu verhandelnden Preisen.


Da jede Zelle an der Peripherie maximale Autonomie hat, bestimmt sie die Regeln der Interaktion untereinander (innerhalb der Zelle), nach außen (zum Markt), und nach innen (zu den anderen Peripheriezellen sowie den Zentrumszellen).


Sollte jede Zelle ihre Autonomie maximal ausreizen, wäre das das Ende der Organisation. Jede Zelle würde zu einer eigenen, abgekapselte Miniorganisation werden. So strukturierte Zellen ließen sich auch nicht mehr in einer Prozesslandschaft zusammenhängend abbilden. Vielmehr hätte jede Zelle eine eigene Prozesslandschaft, in der die - von ihr, für sich - festgelegten Abläufe und Interaktionen abgebildet wären.


Eine solche organisatorische Fragmentierung in Zellen mit maximal gelebter Autonomie ist in der Regel keine gute Option. In einer Organisation mit einem Portfolio, dessen Produkte oder Dienstleistungen von mehr als einer Zelle erbracht werden, mag es den Kunden zwar egal sein, wie das Unternehmen strukturiert ist. Die Kunden werden jedoch ein halbwegs einheitliches Auftreten erwarten (vom Design der Produkte über das Fulfilment bis hin zum Kundendienst). Es ist daher allein schon für die Integrität der Organisation in der Außenwahrnehmung notwendig, dass sie sich einen gemeinsamen Rahmen gibt. Ein Rahmen, der die Zusammenarbeit der Zellen für einen gemeinsamen Außenauftritt regelt.

Die maximal realisierte Autonomie einer Zelle ist daher nur dann eine gute Option, wenn diese sich aus der Organisation lösen soll. Für alle anderen Fälle muss es einen gemeinsamen Rahmen geben, in dem Dinge wir Strategie, Prozesse und Infrastruktur entschieden und geregelt werden. Dabei ist theoretisch alles denkbar: Von stark standardisierten Vorgaben (zum Beispiel bei der Abwicklung von Aufträgen) bis hin zu vollkommen freien Prozessen (zum Beispiel bei der Entscheidung, wie Peripheriezellen ihr selbst erwirtschaftetes Budget einsetzen).

Hierarchie und Prozessorganisation


Der Aufbau eines solchen gemeinsamen Rahmens erfordert nicht unbedingt eine Hierarchie, denn er lässt sich innerhalb der Prozessorganisation realisieren. Prozesse werden über Prozessverantwortliche geführt, nicht über Vorgesetzte und Untergebene. Im Vortrag von Stefan Willuda wird jedoch impliziert, dass all die Regeln und Vorschriften, die die Autonomie der Zellen einschränken, Zeugnisse einer hierarchischen Struktur sind, in denen die Steuerung der Mitarbeitenden im Mittelpunkt steht. Sein Beispiel sind Vorgaben zur Reisekostenabrechnung. Durch sie werden Mitarbeiter davon abgehalten, wertschöpfend tätig zu sein. Die Aufgabe der Führungskräfte muss laut Willuda darin bestehen, genau solche Hindernisse nach und nach abzubauen.


Wie wir aber gesehen haben, ist es für jede Organisation zur Wahrung der Integrität unverzichtbar, sich einen gemeinsamen Rahmen zu geben und sich an diesen zu halten. Es ist ein Denkfehler anzunehmen, dass diese Unterwerfung immer aus hierarchischen Gründen passiert. Sie kann genauso gut geschehen, um die Interaktion untereinander auf Wertschöpfung auszurichten.


Führungskräfte als legitimierte Repräsentanten der Organisation


So gesehen eröffnet sich für Führungskräfte ein Wirkungsraum, der weit mehr umfasst als den bloßen Abbau oder Aufbau von Regeln. Führungskräfte sind durch die formale Autorität legitimiert, die ihnen von der Organisation (aus welchen Gründen auch immer) verliehen wurde. Diese Masse an Legitimität ermächtigt Führungskräfte, um die Organisation nach außen und nach innen wirksam zu repräsentieren.


Sind Führungskräfte in der Lage, die Organisation als zusammenhängendes System zu überblicken und zu erklären, dann können sie mit ihrer Wirksamkeit dazu beitragen, den gemeinsamen Rahmen aus Strategie, Prozessen und Infrastruktur im Spannungsfeld der angestrebten Autonomie mit zu entwickeln. Als Repräsentanten des Unternehmens sind sie dazu bestimmt, bei der Frage mitzuwirken, wie die Organisation von außen und von innen wahrgenommen werden soll. Nicht umsonst wird davon ausgegangen, dass nur eine Person mit ausreichender formaler Autorität überhaupt in der Lage sein kann, die Umstrukturierung einer Organisation ins Rollen zu bringen.


Stefan Willuda sagt zu Beginn seines Vortrags, dass wir aufhören sollten, Führungskräfte mit allen möglichen Erwartungen zu belasten. Genauso sollten wir damit aufhören, sie als aussterbende Spezies darzustellen, deren einzige sinnvolle Beschäftigung in dem Aufräumen von Altlasten besteht.


Weiterführende Links:


Stefan Willuda: Gute Theorie lässt Führung wieder wirksam werden. BetaCodex Network. YouTube.



Eine kurze Geschichte des Zellstrukturdesigns. Post von Nils Pfläging auf LinkedIn.



Zweites Foto von Taryn Elliott: https://www.pexels.com/de-de/foto/sonnenuntergang-baum-symbol-cappadocia-4973582/







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