13 Sekunden! Samstag Abend, Familienbad. Unsere Tochter platzt vor Stolz - ganze 13 Sekunden hat sie es geschafft, den Kopf in der Badewanne unter Wasser zu halten. Die Messung wird sorgsam auf der Stoppuhr festgehalten, die Leistung ist auf diese Weise erfasst und teilbar.
Warum sind Messungen für uns so wichtig? Im privaten wie im beruflichen Leben geht es kaum noch ohne. Die schlaue Uhr benachrichtigt mich, wenn die Trainingsminuten geschafft sind und den Ring geschlossen ist. Der tägliche Blick auf den Auftragseingang zeigt, wie weit wir in diesem Monat vom geplanten Ziel entfernt sind.
Auch im Agilen wird manches gern gemessen: Da wäre zum Beispiel die Velocity des Teams - sie bemisst, wie viel das Team pro Sprint fertig stellt. Oder der Burndown Chart - er zeigt an, wie viel für den geplanten Sprint oder das Release noch zu erledigen ist.
Messungen haben den großen Vorteil, dass sie mit einem Halo der Objektivität daher kommen. Erzählt unsere Tochter ihrem Bruder, dass sie „ganz lange“ getaucht ist, dann schindet das nur wenig Eindruck. Ganz anders wenn sie berichtet, dass sie letzte Woche nur 7 Sekunden schaffte und jetzt schon bei 13 ist.
Wenn wir nun von agilen Metriken sprechen, dann sind vor allem zwei Dinge zu beachten:
Zum einen sollten die Messungen nicht von innen nach außen, sondern von außen nach innen gerichtet sein
Zum anderen kommt es weniger auf das Produzieren von Ergebnissen, sondern auf das Erreichen von Veränderungen an
Den Blick nach außen richten
Unternehmen konzentrieren sich gerne darauf, die eigene Leistung zu messen: Anzahl der Releases on Time, Höhe des Umsatzes, Anzahl der Nichtkonformitäten, Zufriedenheit der
Mitarbeitenden, angemeldete Patente, Marktanteil, Kosteneffizienz, und so weiter.
So wichtig diese Indikatoren sind, so wenig haben sie mit dem ersten agilen Prinzip zu tun, demzufolge die Zufriedenheit der Kunden höchste Priorität ist. Agile Metriken sollten daher den Blick nach außen richten und sich Ziele vornehmen, die Outside-In gestrickt sind. Solche Ziele schauen dann auf die Qualität der Beziehung zu Kunden und Benutzern.
Metriken können dann sein:
Anzahl direkter Kundenkontakte (zum Beispiel in den Sprint Reviews)
Entwicklung der vom Kunden wahrgenommene Qualität (z.B. durch Messung von Kundenbeschwerden)
Zeit zwischen Benutzerfeedback und umgesetzter Verbesserung
Anzahl hinzu gewonnener Benutzer (minus Anzahl verlorener Benutzer)
Auf Ergebnisse statt Aktivitäten achten
„Er war stets bemüht…“ Was im Arbeitszeugnis nicht gut klingt, ist im Alltag auch nicht besser. Verkaufsgespräche sind erst dann erfolgreich, wenn es zum Abschluss kommt. Ein Produktinkrement ist erst dann nützlich, wenn es ausgeliefert werden kann. Ein ausgeliefertes Produkt bringt erst dann Nutzen, wenn die Benutzer es in ihrem Alltag angenommen haben. Und so weiter.
Bei der Entwicklung von agilen Metriken ist es daher wenig hilfreich, auf Aktivitäten zu fokussieren. Der Task Burndown Chart kann hier als Beispiel dienen: Er misst die in einem Sprint verbleibenden Aufgaben (ausgedrückt in Tasks oder Aufwand).
Sind zum Sprintenende alle Aufgaben außer der letzten geschafft, ist das sicher eine fleißige Leistung. Nur sagt sie leider nichts über den geschaffenen Nutzen aus. Das Produktinkrement ist erst fertig, wenn auch die letzte Hürde vor der Fertigstellung genommen wurde. Ansonsten ist der Wert für die Benutzer gleich null.
Agile Metriken sollten daher auf Ergebnisse zielen. Und sie sind umso wertvoller, wenn sie die Beziehung zu Kunden und Benutzer betrachten.
Typische Fehler
So schön und hilfreich Messungen auch sind, so wenig entbinden sie uns von der Verantwortung, etwas Vernünftiges mit ihnen anzustellen. Messungen können ganz schön in die Hose gehen - hier ein paar Gründe dafür:
Die Messdaten werden falsch eingesetzt. Beispiel: Im Agilen schätzen Scrum-Teams die Größe der zu erledigenden User Stories relativ zueinander. Eine User Story mit fünf Punkten ist größer als eine User Story mit drei Punkten. Jedes Team legt jedoch für sich selber fest, was eine Fünfer-Story und was eine Dreier-Story ist. Deshalb lassen sich die Geschwindigkeiten über Scrum-Teams hinweg nicht sinnvoll vergleichen - es gibt keine absolute Referenz für Story-Größen.
Wer versucht, die Geschwindigkeit von Scrum-Teams untereinander zu messen, der vergleicht also Äpfel mit Birnen.
Those who belief that what you cannot quantify does not exist also belief that what you can quantify, does (Aaron Haspel).
Der Zweck ist unklar. Kennen sie diese Situation? Eine Kennzahl wird seit Jahren erhoben, weil sich irgendwann jemand diese gewünscht hat. Mittlerweile weiß keiner mehr so richtig, was mit der Kennzahl anzufangen ist. Der Zweck ist (nicht mehr) klar.
Wir können zum Beispiel die Zeitspanne zwischen einem neuen Eintrag im Product Backlog und seiner Fertigstellung messen. Hinter dieser Metrik sind viele Zwecke denkbar, die allen Raum für Spekulationen öffnen:
Geht es darum, möglichst wenig neue Anforderungen aufgenommen werden (um einen „Stau“ im Backlog zu vermeiden)?
Sollen nur kleinere Dinge wie Bugfixes aufgenommen werden (die in kurzer Zeit umsetzbar sind?)
Sollen Dinge erst dann im Backlog aufgenommen werden, wenn sie klar spezifiziert sind (damit es bei der Umsetzung keine Überraschungen gibt?)
Oder geht es darum, dass Kundenfeedback schneller umgesetzt wird?
Wir sehen: Ohne ein klaren Zweck kann ein und dieselbe Metrik ganz verschiedenen Motiven dienen. Damit Metriken eine sinnvolle Ausrichtung bekommen, müssen sie also von einem Zweck ausgehen entwickelt werden - und diesem dienen.
Die strategische Richtung ist unklar. Messungen können zeigen, welche Besucher wie lange auf einer Webseite verbleiben. Ein befreundeter Product Owner erzählte mir, dass ältere Benutzer sich mit dem Auftritt seines Portals schwer tun und deutlich schneller abspringen als jüngere Benutzer.
Diese Erkenntnis alleine reichte für den Product Owner nicht aus, um eine Entscheidung zu treffen. Dazu muss er erstmal entscheiden, welche relative Bedeutung ältere Benutzer für sein Portal haben. Denn richtet er sein Portal für ältere Benutzer aus, riskiert er einen Rückgang bei den jüngeren Benutzern.
Um dieses Entscheidungsdilemma zu lösen, muss eine strategische Richtung vorhanden sein. Im hier genannten Beispiel entscheid sich das Unternehmen letzendlich dafür, den jüngeren Benutzern Vorrang zu geben. Abhängig vom Portfolio und der Marktpositionierung hätte die Entscheidung auch anders ausfallen können.
Fazit
Metriken sind ein starkes Instrument, um unsere Entscheidungen zu beeinflussen.
Oft verwenden wir Metriken, um unsere eigene Leistung zu messen: Umsatz! Fehlerreduktion! Burndown Charts! Mitarbeiterzufriedenheit! Patente! Marktanteile! Kosteneffizienz!
Agilität aber richtet den Fokus nach außen, auf unsere Kunden und den Nutzen, den wir für sie stiften können. Agile Metriken, die Kunden und Nutzen im Blick haben, können uns zu wahrer Stärke verhelfen.
Literatur
Douglas W. Hubbard 2014: How to Measure Anything. Finding the Value of Intangibles in Business. Wiley. Dritte Auflage.
Jerry Z. Muller 2019: The Tyranny of Metrics. Princeton University Press.
Mika Yrjölä 2021: Eye on the customer: breaking away from the inside-out mindset. Journal of Business Strategy, Vol. 42, No. 3. 206-214.
Bilder
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